querfunk, beck's und prosecco

querfunk-programm mai-august 2007

bertrand bat mich um ein editorial für den querfunk, quasi aus dem exil. veröffentlicht ohne nennung des autors, wie es beim querfunk gute tradition ist.


 

Querfunk, Beck's und Prosecco

Wenn man, wie der Querfunk, bereits sein 50-jähriges Jubiläum hinter sich hat, dann versteht sich von selbst, dass der Querfunk nicht nur Radio ist, sondern eine Marke. Und dass also die geneigte Querfunk-Konsumentin somit das Recht erwirbt, sich durch ihren Konsum ausreichend von anderen Menschen, die andere Markenradios konsumieren, zu differenzieren. Der gemeine Wirtschaftwissenschaftler umschreibt dieses Phänomen kompakterweise mit "Wenn Calvin Klein draufsteht, dann besser".

In modernen Gesellschaften wie der unseren erlaubt es die Marke (und deren Konsum), seine eigene jämmerliche Existenz durch das vorgetäuschte Heilsversprechen des Markenartikels und der angenommenen Zugehörigkeit zu Gleichmarkigen zu kompensieren. Oder anders ausgedrückt: Ich umgebe mich mit irgendeinem Tand, und automatisch steigt mein Ansehen: Der Markenartikel wird mir zur Hilfe bei der Optimierung meiner Selbstdarstellung. Mit Jeans von Calvin Klein kann man sich das noch gut vorstellen (die muss ja gut sitzen, ist ja von Calvin Klein), aber das geht auch in komplexeren Kontexten. Ein Beispiel: Es ist Samstagabend. Ich, männlich, Mitte 30, vom Erwerbsleben schon leicht verbraucht und natürlich Single, gehe aus. Nun könnte ich mich müde und elend an die Bar hängen und ein Beck's nach dem andern trinken. Das symbolisiert: Ich bin müde, elend, einsam, und natürlich bleibt das auch so. Pfiffig dagegen folgende Strategie: Ich gehe nur zum Bestellen an die Bar und ordere stets ein Beck's und einen Prosecco. Das signalisiert: Ich bin in weiblicher Begleitung da, die Dame hat Stil, und ich habe noch genug Arsch in der Hose um trotzdem Bier zu trinken. Gleichsam simpel und effektiv. Verständlich? Dann das gleiche nochmal: Sonntag morgen, 14 Uhr, ich empfange zum Frühstück, sagen wir mal, Anita, Kulturwissenschaftlerin an der Uni Bremen. Die Frage: Was läuft im Radio? Mit, nennen wir es mal, Hit-Radio Antenne signalisiere ich: Ist mir doch egal, was da dudelt, Hauptsache Lala, Musik darf auch nicht aufregen beim Bügeln, und ich höre sowieso nicht zu. Will ich das aussagen? Oder schalte ich auf 104,8 und offenbare kritisches Denken, alternative Sichtweisen, moderne Individualität, unorthodoxen Lebensstil und intellektuelle Herausforderung? Die Antwort ist leicht. Eigentlich.

Der Erfolg solcher Strategien jedoch steht und fällt mit dem Abschätzen der Marktrisiken. Super Idee mit dem Beck's und dem Prosecco, aber wie geht das weiter? Dann steht man da rum mit zwei Getränken. Der Schwabe in einem gebietet, die Proseccos auch selbst zu trinken (ist ja bezahlt), und wenn man eine rauchen will, hat man keine Hand frei, und um so schneller trinkt man - um dann wieder hurtig an die Bar zu eilen und das erfolgreiche Procedere öffentlichkeitswirksam zu wiederholen. Die Folge: eine offensichtliche Demonstration menschlichen Verfalls, und das schon kurz nach 23 Uhr. Ebenso gefährlich: Querfunk beim Frühstück mit unvorbereiteter Zielgruppe. "Sag mal, die können ja alle gar nicht richtig Deutsch!" - "Das ist jetzt nicht dem sein Ernst mit den DDR-Liedern!" - "Wenn die Frau noch einmal Menschtruationsneid sagt, dann drück ich der mein Brötchen ins Radio!" Die Folge: Anita aus Bremen ist genauso begeistert wie die Kumpels, die mich gestern kurz nach 23 Uhr sturzbetrunken nach Hause geschleift haben - und genauso schnell verschwunden.

Meinen Kumpels ist angesichts meines erbärmlichen Zustandes kein Vorwurf zu machen. Anita auch nicht - sie kennt es nicht besser. Als das angeblich so rote Bremen letztens eine freie Frequenz für lokale Belange zu vergeben hatte, ausgerechnet die 104,8, ging diese an: Hit-Radio Antenne. Welchen Zustand das Land Bremen mit dieser Entscheidung offenbart, mag die gemeine Kulturwissenschaftlerin beleuchten. Ebenso wie die Symbolwirkung des gewagten Gedankensprungs von Bier und Prosecco (bodenständig und spritzig) zum Querfunk. Und währenddessen solidarisiert euch mit Anita und tut das, was sie nicht tun kann: Hört gutes Radio in schlechtem Deutsch.

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(c) lutz frommberger, mai 2007

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