zum 11. september

dieser kurze abriss entstand knapp 2 wochen nach dem wtc-attentat. sorcha hatte um reaktionen gebeten, dies war meine.


 

Ich habe sehr viel ferngesehen in letzter Zeit - das WTC-Attentat ist mit Sicherheit das Krasseste, was ich seit langem so mitbekommen habe, und mittlerweile erfordert die politische Lage auch erhöhte Wachsamkeit.

Es ist natürlich blödsinnig, den USA ein "selbst schuld" an den Kopf zu werfen, aber in gewisser Weise haben sie das, was jetzt gegen sie schlägt, ja selbst gezüchtet. Sei es durch aktive Unterstützung durch Waffen oder durch eine nicht nachvollziehbare, beliebige Außenpolitik. Leider zeigen die USA auch hier Kontinuität: Die eben noch böse illegitime Atommacht Pakistan bekommt als Waffenbruder die verhängten Sanktionen erlassen, nach dem Motto "Gut ist, wer uns nutzt." Eine Politik, die auf diesem Paradigma fußt, wird stets bei irgendjemandem zumindest Unverständnis hervorrufen, steigert sich diese zu Hass, wird sie zu einem Problem.

Ein großer Einschnitt ist dieses Attentat nicht durch die Anzahl der Opfer, nicht durch die Unvorstellbarkeit der Ausführung und nicht durch das unglaubliche Ziel WTC/Pentagon. Ein Einschnitt wird es bestenfalls dadurch, dass es einen Anlass liefert, das Verhältnis der Staaten zur persönlichen Freiheit im Sinne derer neu zu definieren, denen Freiheit nicht viel bedeutet. Perverserweise sind das genau diejenigen, die immer von einem Angriff auf die Freiheit reden.

Das alles zieht einen in die Verantwortung, davon zu reden, was jetzt im Rausch kollektiver Trauer und Wut mit der Brechstange erzwungen wird. Es gilt, ein Auge auf Völkerrecht und Grundrechte zu werfen, nach Ursachen zu sehen und die Frage der Deeskalation im Auge zu behalten. Damit macht man sich im Moment vor der sogenannte "öffentlichen Meinung" gerne zum Anti-Amerikanisten, zum Gutmenschen oder zum Komplizen der Terroristen - und gerade deshalb ist es nötig. Es gilt vor der eigenen Haustüre zu kehren: Dadurch, dass ich jetzt ganz arg böse auf Bin Laden bin, wird niemand geholfen. Dadurch, dass ich aber bei meinen Reaktionen die Folgen im Auge behalte, kann ich maßgeblich zur Vermeidung weiterer Terrorakte (von beiden Seiten) beitragen. Es mag zufrieden stimmen, wenn man das Gefühl hat, im Recht zu sein, aber wenn das andere anders sehen oder schlichtweg ignorieren, bleibt es bei dem guten Gefühl.

Ich habe große Sorge um die Lage in Nahost, weniger in Afghanistan als im Umland. Wer weiß, welche Effekte dort auftreten, wer weiß, ob die US-Angriffe nicht eher als Katalysator denn als Abschreckung wirken. Ich habe Sorge um die Grundrechte und persönlichen Freiheiten weltweit, und ich habe Sorge um die deutsche Politik, der uneingeschränkte Solidarität wichtiger ist als maßvolle und intelligente Außenpolitik. Nicht, dass wir nicht schon seit den Kosovo-Einsätzen wüssten, was Sache ist, aber diese Aktion wird erneut eine neue Qualitätsstufe deutscher, rot-grüner Politik eröffnen.

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(c) lutz frommberger, 24. september 2001

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