zusehen und die klappe halten?

usta-magazin 10/99, november 1999


 

Zusehen und die Klappen halten?

Ein Plädoyer für das Politische Mandat

Als wir vor ein paar Wochen durch die O-Phasen gezogen sind, um die Funktionsweise der Studierendenvertretung in Karlsruhe vorzustellen, wurde es, wie üblich, mit großer Verwunderung aufgenommen, dass diese quasi verboten ist und mit riesigen strukturellen und vor allem finanziellen Problemen zu kämpfen hat, da es in Baden-Württemberg keine verfasste Studierendenschaft mehr gibt. Damit entfallen auch die in anderen Bundesländern üblichen Beiträge der Studis für ihre Vertretung, was zum Verkauf von Beitragsmarken führt, aber das haben wir ja schon häufiger angeführt und ich will das auch nicht nochmal aufwärmen.

Erwähnenswert allerdings ist der (vielleicht einzige) Vorteil, den wir als UStA in diesem Bundesland aus der nicht existenten Verfassten Studierendenschaft ziehen: es ist nicht möglich, uns juristisch den Mund zu verbieten, weil wir, wie alle anderen ASten in Deutschland, das Politische Mandat für uns reklamieren.

Das Politische Mandat beinhaltet, dass sich die Studierendenvertretungen auch zu Sachverhalten äußern, die nicht "unmittelbar und spezifisch" hochschulbezogen sind. Vor Allem seine GegnerInnen nennen es deshalb auch gerne das "Allgemeinpolitische Mandat", einen Ausdruck, den ich nicht verwenden möchte, weil ich die Trennung in Hochschulpolitik und Allgemeinpolitik als absurd betrachte. Aber dazu später mehr.

Klagen von Burschenschaften, REPs und RCDS

Im Norden der Republik werden aber die ASten in den letzten Jahren verstärkt mit Klagen überzogen, die den Studierendenvertretungen Äußerungen verbieten wollen, die über die unmittelbare Hochschulpolitik hinausgehen. Initiiert werden diese Klagen meistens aus dem Lager der Studentenverbindungen (meist Burschenschaften) und dem daraus hervorgegangenen Republikanischen Hochschulverband, zuletzt aber auch verstärkt (wie bei den Klagen gegen den RefRat der Humboldt-Uni Berlin) von Mitgliedern des RCDS.

Ein paar Beispiele: dem AStA der Uni Bremen wurde vom OVG Bremen zu bestimmten Themen unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 500.000 DM ein Maulkorb verordnet, diese Themen sind im Urteil festgeschrieben [1]. Unter Anderem darf sich der dortige AStA nicht mehr zu energiepolitischen Fragen, zur Verkehrs- oder Arbeitsmarktpolitik äußern, Ausländerpolitik darf er nur thematisieren, wenn es konkret um Hochschulangehörige geht [2].

Ist ein Studiticket Allgemeinpolitik?

Der AStA der Uni Münster wurde verklagt, weil er sich für die Einführung eines Semestertickets starkgemacht hatte und den ökologischen und verkehrspolitischen Nutzen diese Tickets hervorgehoben hatte. Dieser Rechtsstreit wurde bis vor das Bundesverwaltungsgericht getragen, das dem AStA letztinstanzlich Recht gab: die Werbung für das Semesterticket war rechtens [3].

Neustes Beispiel ist der RefRat der HU Berlin, der von Mitgliedern des RCDS verklagt wurde, weil er eine Podiumsdiskussion zum KosovoKrieg veranstaltet hatte. Eine Entscheidung dort steht noch aus.

Gerade das letzte Beispiel zeigt, dass die Vorfälle so weit weg nicht sind, wie sie scheinen: im letzten Sommersemester versuchte der hiesige RCDS erfolglos, im Studierendenparlament eine vom UStA unterstütze Flugblattaktion einiger Karlsruher Studierender zum Krieg im Kosovo zu unterbinden. Auf den Flugis wurde aufgrund der Beteiligung der Bundeswehr an diesem Krieg zum Nachdenken aufgerufen, dem RCDS war das anscheinend schon zu viel. Auch aus Reihen der LHG wurde dem UStA Anfang des Jahres zu starke allgemeinpolitische Betätigung vorgeworfen, und das, obwohl man sich allein durch Lesen der UStA-Magazine leicht überzeugen kann, dass nicht hochschulbezogenen Themen faktisch nicht vorkamen.

Wie das Berliner Beispiel zeigt, könnte so etwas leicht in einer Klage enden, vor der wir aber mit Sicherheit verschont bleiben, weil sich die Urteilsbegründungen immer auf die "Zwangsmitgliedschaft" der Studierenden begründen, die es in Süddeutschland ja nicht gibt.

Hochschulpolitik ist Allgemeinpolitik

Doch inwieweit macht diese Trennung zwischen Allgemeinpolitik und Hochschulpolitik überhaupt Sinn? Was ist, wenn von der Fachschaft Physik oder Elektrotechnik eine Veranstaltung zum Thema "Energieversorgung ohne Atomstrom?" organisiert wird? In Bremen wäre dies verboten. Und kann man sich über die Verkehrsituation in seiner Uni-Stadt äußern, ohne die allgemeine Verkehrspolitik zu berücksichtigen? Wie kann man Vorschläge zur Studienfinanzierung machen, ohne auf die Finanzierbarkeit in den Gesamthaushalten einzugehen? Kann man wirklich ernsthaft Hochschulpolitik betreiben, wenn man argumentativ im Elfenbeinturm des eigenen Uni-Umfeldes gefangen bleibt? Ist nicht vielmehr ein übergreifendes Denken gefordert anstatt der Beschränkung auf den eigegen Tellerrand? Kann oder darf man bildungspolitische Debatten von gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen trennen? Aus diesem Grund lehne ich die Benutzung des Wortes "Allgemeinpolitik" ab - Hochschulpolitik ist Allgemeinpolitik.

Zunehmend wird in Deuschland geklagt, dass sich zuwenig gesellschaftlich engagiert würde und Politik ausschließlich den Parteien und Lobbygruppen (Industrie, Gewerkschaften, ADAC etc.) vorbehalten sei. Die Studierenden haben noch nicht einmal LobbyistInnen. Aber haben wir nicht das Recht, uns zu äußern? Ich würde sogar weitergehen und fragen: Haben wir nicht die Pflicht dazu?

Politische Stellungnahme als gesellschaftliche Pflicht

Die deutsche Gesellschaft will den Studierenden derzeit die Möglichkeit bieten, sich unabhängig von sozialer und finanzieller Herkunft zu bilden [4]. Studierende sind die Gruppe in der Gesellschaft, die es sich ohne Rücksichtnahme auf einen Arbeitgeber [5] und Angst um die Arbeitsstelle, zumeist ohne Rücksicht auf Familie, Kinder und Eigenheim und ohne den Verschleiß jahrelanger Berufstätigkeit in monetären Zwängen, leisten können, sich ihre Gedanken zu machen und diese frei zu artikulieren. Zumal sind sie mit dem Privileg ausgestattet, Zugang zu den bestmöglichen Bildungseinrichtungen der Republik zu haben. Steht eine derart unabhängige, hochgebildete Bevölkerungsgruppe nicht geradezu in der Pflicht, sich aktiv am politischen Geschehen des Staates zu beteiligen und sich in die Willensbildungsprozesse einzubringen? Müssen nicht aus dieser Gruppe Anregungen für Politik und Gesellschaft ausgehen? Darf sich ein Staat eine kritik- und stimmenlose Masse Studierender leisten? Kann man guten Gewissens angehende Wissenschaftler verantworten, die in der Bewertung von Sachverhalten gesamtgesellschaftliche und wissenschaftliche Interesse trennen?

Die Versuche, die studentischen VertreterInnen mundtot zu machen, kommen nicht umsonst von denjenigen politischen Gruppierungen, die an den Hochschulen auf demokratischem Weg nicht Fuß fassen können. Der "Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler" (BdWI) bezeichnet in diesem Zusammenhang in einer Presseerklärung für das politische Mandat den RCDS "nicht als Motor, sondern als Auspuff der CDU" [6].

Protest gegen Milosevic unmittelbar hochschulbezogen?

Wenn in Belgrad die Studierenden gegen Milosevic auf die Straße gehen, ist ihnen der Beifall von Bevölkerung und Medien sicher, obwohl die Agitation gegen die Staatsführung garantiert nicht "unmittelbar und spezifisch hochschulbezogen" ist. Über das Massaker gegen Studierende auf dem Platz des himmlischen Friedens regte sich die ganze Welt auf [7], hinterher wurde bejammert, dass die reformerischen Initiativen der chinesichen Studis versandeten. Und in Deutschland soll das nicht gelten? In anderen Ländern sollen die Studis Regierungen stürzen, hier aber brav und sittsam die Klappe halten, als gäbe es in Deutschland per Definition keine Missstände? Es ist nicht einzusehen, warum die deutschen Studierenden schweigen sollen, wenn Unterschriften gegen Ausländer gesammelt werden oder eine gefährliche Energiepolitik verfolgt wird, die zudem von mehr als 80% der Bevölkerung abgelehnt wird. [8]

Wenn die Studierenden in Deutschland sich nicht politisch artikulieren, versagen sie in der Verantwortung, die sie für die Gesellschaft tragen. Wir sind diesem Staat und seinen Menschen unsere Meinung schuldig. Deshalb ist jegliche Beschränkung der freien Meinungsäußerung der demokratisch gewählten Studierendenvertretungen strikt abzulehnen.

 

[1] http://www.studis.de/pm/buendnis/buko/urteile/bremen.html/view.html

[2] Als gäbe es einen Unterschied zwischen Rassismus gegen studierende oder nichtstudierende AusländerInnen.

[3] http://www.studis.de/pm/buendnis/buko/urteile-texte/bverwg.html

[4] Auf die Frage, inwieweit dies noch der Realität entspricht, möchte ich hier nicht eingehen. Die Politik scheint dies längst nicht mehr so zu sehen, aber das ist ein anderes Thema.

[5] Auch dies ist bei 85% arbeitender Studierender eigentlich überholt, aber sicher ist dies nicht der gewünschte Zustand.

[6] http://www.studis.de/pm/buendnis/buko/texte/BDWI-PM.html

[7] Natürlich nur solange, wie es der heimische Wirtschaft nicht hinderlich ist; China könnte ja den Transrapid kaufen.

[8] http://www.oneworldweb.de/castor/presse/ejz/1999/januar/16c.html

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(c) lutz frommberger, november 1999

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