der traum ist aus

usta-magazin 07/99, oktober 1999


 

Der Traum ist aus

Die Reste von "Ton Steine Scherben" spielen im Jubez, und die deutsche Linke zelebriert ihre Bedeutungslosigkeit

"Neues Glas aus alten Scherben" sind ehemalige Musiker der Rio-Reiser-Band und "Ton Steine Scherben", die derzeit mit einem neuen Sänger und ordentlich alten Songs genannter Gruppen durch Deutschland tingeln. Auch im Jubez hatten sich gut 200 Leute versammelt, eine bunte Mischung aus Original-68ern, Schülerinnen, Studierenden aus Architektur und Informatik und den Leuten, die eh auf jedem Konzert sind. So stand man also rum und ließ sich von ein paar Leuten auf der Bühne die Lieder unserer nicht wirklich bewegten Jugend vorspielen.

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Die wenigsten im Publikum haben die Scherben wohl jemals live gesehen, viele waren zu deren aktiver Zeit noch lange nicht geboren. Trotz alledem war eine starke Begeisterung für die mitunter über 30 Jahre alten Songs spürbar. Das politische Lied ist in den letzten Jahren kontinuierlich aus der Medienlandschaft verschwunden. Vielleicht ist es dieses hinterlassene Vakuum, was die Wiederaufbereitung der alten Scherben-Klassiker motiviert und das Bedürfnis geweckt hat, sich das alles auch nochmal live anzusehen. Und vielleicht bedingt auch die entstehende Leere auf der linken Seite des politischen Spektrums ein Gefühl von Nostalgie.

Die deutsche Linke hat ihren Traum ausgeträumt. Nachdem auch den Letzten jetzt klar ist, dass sich in der Bundespolitik nach dem Machtwechsel nichts geändert hat, haben die Linken zusätzlich auch ihre politische Heimat in der Opposition verloren, die nunmehr von rechts gegen die immergleiche Bundespolitik arbeitet. Wer sich dem Kuhhandel Regierungsübernahme angeschlossen hatte, zieht sich oft resigniert zurück. Weder in der politischen Landschaft noch auf dem Feld von Bürgerinitiativen scheint sich wirklich eine Alternative aufzutun, die für die deutsche Linke zur geistigen Heimat werden könnte.

An diesem Abend war man bereit, für zwei Stunden einmal seine Resignation zu vergessen. Doch der Wut und der Ärger, den Ton Steine Scherben zu artikulieren wusste, bleibt nichts als eine Erinnerung. Auf und vor der Bühne war die Einigkeit, dass es nicht dieses Land ist, von dem wir träumen - doch bleibt davon nicht mehr haften als eine laue Ahnung, und übrig bleibt nur der Frust. Und nach einem schönen Abend alter Lieder und alter Gefühle kehrt man heim vor seinen Fernseher und schaltet sein Hirn auf Talkshow.

Die deutsche Linke hat ihren Antrieb verloren in einer Gesellschaft, die an ihr rechts vorbegezogen ist. Und so bleibt anscheinend die Flucht in die Vergangenheit das einzige Mittel, der Lethargie für kurze Zeit zu entfliehen. Es scheint noch viel mehr Frust vonnöten, damit dieser auch dazu führt, dass man sich wieder aus seinem Sessel erhebt.

Dessen ungeachtet war es ein schönes Konzert - die Lieder von Reiser und den Scherben haben über die Jahre nichts von ihrer Kraft und Aktualität verloren. Leider ist aber auch das kein gutes Zeichen ...

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(c) lutz frommberger, oktober 1999

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