Ich habe sehr viel ferngesehen in letzter Zeit - das WTC-Attentat ist
mit Sicherheit das Krasseste, was ich seit langem so mitbekommen habe,
und mittlerweile erfordert die politische Lage auch erhöhte
Wachsamkeit.
Es ist natürlich blödsinnig, den USA ein "selbst schuld" an den Kopf zu
werfen, aber in gewisser Weise haben sie das, was jetzt gegen sie
schlägt, ja selbst gezüchtet. Sei es durch aktive Unterstützung durch
Waffen oder durch eine nicht nachvollziehbare, beliebige
Außenpolitik. Leider zeigen die USA auch hier Kontinuität: Die eben
noch böse illegitime Atommacht Pakistan bekommt als Waffenbruder die
verhängten Sanktionen erlassen, nach dem Motto "Gut ist, wer uns
nutzt." Eine Politik, die auf diesem Paradigma fußt, wird stets bei
irgendjemandem zumindest Unverständnis hervorrufen, steigert sich diese
zu Hass, wird sie zu einem Problem.
Ein großer Einschnitt ist dieses Attentat nicht durch die Anzahl der
Opfer, nicht durch die Unvorstellbarkeit der Ausführung und nicht durch
das unglaubliche Ziel WTC/Pentagon. Ein Einschnitt wird es bestenfalls
dadurch, dass es einen Anlass liefert, das Verhältnis der Staaten zur
persönlichen Freiheit im Sinne derer neu zu definieren, denen Freiheit
nicht viel bedeutet. Perverserweise sind das genau diejenigen, die
immer von einem Angriff auf die Freiheit reden.
Das alles zieht einen in die Verantwortung, davon zu reden, was jetzt
im Rausch kollektiver Trauer und Wut mit der Brechstange erzwungen
wird. Es gilt, ein Auge auf Völkerrecht und Grundrechte zu werfen, nach
Ursachen zu sehen und die Frage der Deeskalation im Auge zu
behalten. Damit macht man sich im Moment vor der sogenannte
"öffentlichen Meinung" gerne zum Anti-Amerikanisten, zum Gutmenschen
oder zum Komplizen der Terroristen - und gerade deshalb ist es
nötig. Es gilt vor der eigenen Haustüre zu kehren: Dadurch, dass ich
jetzt ganz arg böse auf Bin Laden bin, wird niemand geholfen. Dadurch,
dass ich aber bei meinen Reaktionen die Folgen im Auge behalte, kann
ich maßgeblich zur Vermeidung weiterer Terrorakte (von beiden Seiten)
beitragen. Es mag zufrieden stimmen, wenn man das Gefühl hat, im Recht
zu sein, aber wenn das andere anders sehen oder schlichtweg ignorieren,
bleibt es bei dem guten Gefühl.
Ich habe große Sorge um die Lage in Nahost, weniger in Afghanistan als
im Umland. Wer weiß, welche Effekte dort auftreten, wer weiß, ob die
US-Angriffe nicht eher als Katalysator denn als Abschreckung
wirken. Ich habe Sorge um die Grundrechte und persönlichen Freiheiten
weltweit, und ich habe Sorge um die deutsche Politik, der
uneingeschränkte Solidarität wichtiger ist als maßvolle und
intelligente Außenpolitik. Nicht, dass wir nicht schon seit den
Kosovo-Einsätzen wüssten, was Sache ist, aber diese Aktion wird erneut
eine neue Qualitätsstufe deutscher, rot-grüner Politik eröffnen.
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